„So nah in weiter Ferne“

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Emilia, 17 Jahre, aus Österreich

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„Beeil dich, wir müssen los!“, rief Anastasia genervt aus dem Vorzimmer. Schnell kam er herbeigeeilt, während er versuchte sich seine Krawatte richtig zu binden. „Jaja, bin schon da.“, murmelte er, bevor er in seine schwarzen Lackschuhe neben der Türe schlüpfte. Er schnürte sie mit einer perfekten Masche und richtete sich wieder auf. „Und? Wie sehe ich aus?“ Daraufhin begann sie nur schallend zu lachen. Genervt beobachtet er, wie sie japsend nach Luft schnappte. „So schlimm?“, fragte er nach einiger Zeit und strich nervös über seine Anzugjacke. War sie faltig? Hatte er doch die Farben falsch kombiniert? Als Anastasia sah, wie nervös er war, nahm sie beruhigend seine Hand. „Jack, du siehst toll aus. Aber findest du nicht auch, dass es etwas überflüssig ist das zu fragen? Du bist ein Geist, außer mir sieht dich keiner.“ Zustimmend nickte er. „Aber ich möchte doch auch für dich gut aussehen“, schmollte er. „Awww!“, sie küsste ihn auf die Wange, bevor sie ihn hinter sich aus der Wohnung zog.
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Traurig schwelgte Jack in diesen Erinnerungen. Er dachte zurück an diese schöne und sorglose Zeit. Damals hatten sie gemeinsam gelacht, gekocht, sie waren abends ausgegangen, besuchten Konzerte, Theater und Opern. Sie hatten alles zusammengemacht. Sie waren die besten Freunde, sogar mehr! Bis vor einem Jahr. Jacks Blick verdüsterte sich alleine bei dem Gedanken daran.

Anastasia würde wegen ihres Studiums für fünf Monate ins Ausland fahren. Jack gefiel die Vorstellung, dass SEINE Anastasia, alleine wegfuhr überhaupt nicht. Am liebsten würde er mitkommen, doch wie es das Schicksal so wollte war er als Geist nun mal an diese Stadt gebunden und sollte er versuchen sie zu verlassen, würde ihm etwas Schlimmes widerfahren. Was? Das wusste keiner, denn niemand, der es versucht hatte, ist je wieder zurückgekehrt. Alleine der Gedanke daran, sorgte dafür, dass es dem Geist kalt den Rücken runterlief. Mit allen Mitteln hatte er versucht Anastasia zum Bleiben zu bewegen, doch es war aussichtslos. Stur wie sie war, bestand sie weiterhin darauf fortzugehen. Egal wie oft sie Jack auch versicherte, dass es nicht seinetwegen war, der Geist schmollte trotzdem. Am Tag ihrer Abreise, kroch er dann doch aus seinem Kämmerchen hervor, um sich zumindest von ihr zu verabschieden. „Mach dir keinen Kopf, ich bin bald wieder da“, erklärte Anastasia fröhlich. Bevor sie ihre Arme um den Geist schlang und ihm einen Kuss aufdrückte. „Ich liebe dich“, murmelte er in ihre Haare. „Ich dich noch viel mehr!“, erwiderte sie. Anastasia packte alles zusammen, schlüpfte in ihre Schuhe und winkte Jack ein letztes Mal zu, bevor die Türe hinter ihr ins Schloss fiel. Ab heute würde eine langweilige Zeit beginnen, soviel wusste Jack als er sich in seine Hängematte fallen ließ.

Heute war es soweit, viele qualvolle Monate waren vorüber und Jack konnte es gar nicht mehr erwarten, dass seine Prinzessin endlich heimkehrte. Als er einen Schlüssel im Schloss hörte, sprang er auf und eilte zur Türe. Doch was er da sah, verschlug ihm die Sprache und ein tiefer Schmerz durchfuhr ihn. Da stand ein Paar, dicht aneinandergepresst und in eine wilde Knutscherei verwickelt. Zuerst dachte Jack, dass die beiden sich in der Türe geirrt hatten, doch bei genauerem Hinsehen erkannte er Anastasia. Ihr dunkelblonden Haare, waren nun mit rosa Strähnen durchzogen und sie stank fürchterlich nach Rauch. Auch ihre Kleidung war teils zerfetzt. Es war nicht das Mädchen, dass ihn vor vier Monaten zurückgelassen hatte. Als Anastasia Jack erblickte scheuchte sie ihn mit einer Handbewegung fort, bevor sie sich wieder ihrer Begleitung zuwandte. In Jack zerbrach etwas, er konnte förmlich hören, wie sein Herz in tausend kleine Teile zersprang. Er liebte sie, doch sie ihn anscheinend nicht mehr.
Ein Jahr lang ging es so weiter. Der Lover vom ersten Tag sollte nicht der letzte Junge bleiben, der ein und ausmarschierte, immer wieder kam unangekündigter Besuch, der aber jedes Mal ein „nettes“ Gastgeschenk mitbrachte. Meistens Drogen oder Alkohol. Diese Besuche waren immer recht interessant. Anastasia hieß jetzt auch nicht mehr Anastasia, sondern Ana. Mit nur einem „N“ wohlgemerkt, ihrer Meinung nach klang das „cooler“. Jack hatte ihr schon einmal gesagt, dass er den Namen blöd fand, doch sie hatte ihm nur einen giftigen Blick zugeworfen und verschwand. Im Allgemeinen beachtete Anastasia Jack kaum noch, egal wie oft er versucht hatte ihr altes „Ich“ wieder hervor zu holen, er schafft es nicht „Ana“ zu verjagen.

Bis zum heutigen Tag, hatte sich nichts geändert. Als Jack vorhin zu Ana ins Schlafzimmer ging, fand er nur ihren schlaffen, blassen, zerstörten Körper schlafend vor. Dort lag sie nun, bekifft und nicht in der Lage sich um sich selbst zu kümmern. Sie hatte alles hingeschmissen, alles aufgegeben und wofür? Um ein sinnloses Leben mit vielen Männern, Alkohol und Drogen zu führen? Jack war wütend und traurig zugleich. Die tiefgründige Liebe, die er einst für Anastasia empfand, wandelte sich in Hass. Hass der Person gegenüber, die er niemals aufgeben wollte. Der Person gegenüber, die immer für ihn da war. Und der Person gegenüber, die ihn nicht davon abhielt, als er die Wohnung verließ, zur Stadtgrenze schwebte und diese mit einem letzten tiefen Atemzug passierte. Einfach nur puren Hass.